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  • Autorenbild: kunzlawfirm
    kunzlawfirm
  • 19. Okt. 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Ein Fall häuslicher Gewalt mit psychologischer Dimension

In dieser Fallstudie wird ein Fall von häuslicher Gewalt analysiert, der sich in der Schweiz ereignet hat. Der Fall wirft wichtige Fragen zur Strafzumessung, zur Rolle der Persönlichkeitsstörungen und zur Bedeutung der Prävention auf. Wir beziehen uns auf einschlägige Artikel, Kommentare und Bundesgerichtsentscheide (BGE), um die rechtlichen und kriminologischen Aspekte zu beleuchten.


Sachverhalt:

Herr X und Frau Y, ein verheiratetes Paar, lebten seit mehreren Jahren in einer Beziehung, die zunehmend durch Konflikte und Aggressionen geprägt war. Herr X, ein 45-jähriger Mann, zeigte immer wieder aggressive Verhaltensweisen, insbesondere wenn er sich bedroht oder kontrolliert fühlte. Im Laufe der Ehe begann er, Frau Y emotional und körperlich zu misshandeln. Der Höhepunkt wurde erreicht, als Herr X Frau Y in einem Streit schwer verletzte. Sie erlitt schwere Prellungen und musste ärztlich behandelt werden.

Frau Y reichte Strafanzeige ein, und Herr X wurde aufgrund von häuslicher Gewalt vor Gericht gestellt. Im Laufe der Ermittlungen stellte sich heraus, dass Herr X unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung litt, die nicht diagnostiziert, aber durch ein psychologisches Gutachten im Verfahren festgestellt wurde. Seine narzisstischen Züge führten zu aggressivem Verhalten, insbesondere in Situationen, in denen er seinen Status oder seine Kontrolle gefährdet sah.


Rechtliche Grundlage:

Nach schweizerischem Strafrecht ist häusliche Gewalt in mehreren Artikeln des Strafgesetzbuches (StGB) verankert. Relevante Bestimmungen in diesem Fall umfassen:

  • Art. 123 StGB (Einfache Körperverletzung): Dieser Artikel regelt die Bestrafung von Körperverletzungen, die keine dauerhafte Schädigung hinterlassen, aber dennoch eine gesundheitliche Beeinträchtigung oder Schmerzen verursachen.

  • Art. 126 StGB (Tätlichkeiten): Dieser Artikel betrifft weniger schwere Formen der Gewaltanwendung, die keine bleibenden Schäden hinterlassen, aber dennoch strafbar sind, insbesondere in Fällen häuslicher Gewalt.

  • Art. 135 StGB (Gefährdung des Lebens): Dieser Artikel behandelt schwerwiegende Fälle von Gewalt, bei denen das Leben des Opfers ernsthaft gefährdet ist.

Darüber hinaus wurde in diesem Fall die psychische Erkrankung des Täters berücksichtigt, was zur Anwendung von Art. 19 StGB (Verminderte Schuldfähigkeit aufgrund psychischer Störungen) führte.


Gerichtsverfahren und Urteilsfindung:

Das Gericht hatte die Aufgabe, die Schwere der Tat, die Rolle der Persönlichkeitsstörung und die Strafzumessung unter Berücksichtigung von Täter- und Opferperspektive zu bewerten. Bei der Urteilsfindung spielte das psychologische Gutachten eine zentrale Rolle. Dieses Gutachten wies auf die narzisstische Persönlichkeitsstörung von Herrn X hin, die als eine der wesentlichen Ursachen für sein aggressives Verhalten angesehen wurde.


Psychologische Einschätzung: Herr X wurde als emotional instabil und stark auf den Erhalt von Kontrolle und Anerkennung fixiert beschrieben. Die Aggressionen wurden als Ausdruck seiner Unfähigkeit angesehen, mit emotionalem Druck und wahrgenommenem Statusverlust umzugehen.

Das Gericht erkannte zwar die psychische Störung als mildernden Faktor an, stellte aber auch klar, dass Herr X trotz seiner Persönlichkeitsstörung in der Lage gewesen wäre, seine Handlungen zu kontrollieren. Aufgrund der festgestellten verminderten Schuldfähigkeit (Art. 19 Abs. 2 StGB) wurde die Strafe jedoch gemildert.

Das Gericht verurteilte Herrn X zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten, unter der Auflage einer Therapie nach Art. 63 StGB, um die narzisstischen Persönlichkeitszüge zu behandeln. Zusätzlich erhielt er ein fünfjähriges Kontakt- und Annäherungsverbot gegenüber Frau Y.


Kommentar zu BGE und Rechtsprechung:

BGE 136 IV 55 befasst sich mit der Frage der verminderten Schuldfähigkeit bei schweren Persönlichkeitsstörungen. In diesem Entscheid stellte das Bundesgericht klar, dass eine verminderte Schuldfähigkeit nur dann angenommen werden kann, wenn nachweislich eine erhebliche psychische Störung vorliegt, die die Steuerungsfähigkeit des Täters beeinträchtigt. Im Fall von Herrn X war die narzisstische Persönlichkeitsstörung nach Ansicht des Gerichts ein hinreichender Faktor, um die verminderte Schuldfähigkeit anzunehmen, jedoch nicht so gravierend, dass eine völlige Schuldunfähigkeit vorlag.

Kommentar zu Art. 123 und 126 StGB: In Fällen häuslicher Gewalt kommt es oft zu einer Abgrenzung zwischen einfacher Körperverletzung und Tätlichkeiten. Bei wiederholten Handlungen, die in einem familiären Umfeld stattfinden, wird die Strafzumessung häufig verschärft, wie dies in BGE 128 IV 73 festgehalten wurde. Das Bundesgericht betonte, dass bei häuslicher Gewalt besonders schwerwiegende Konsequenzen auf die Opfer zu berücksichtigen sind, auch wenn es sich "nur" um Tätlichkeiten handelt, da das Vertrauensverhältnis in der Ehe gravierend erschüttert wird.

Psychologische Kommentierung und Prävention: Aus kriminologischer Sicht ist es in Fällen wie diesem entscheidend, psychologische Präventionsprogramme in den Strafvollzug zu integrieren. Studien haben gezeigt, dass Täter mit narzisstischen oder antisozialen Persönlichkeitsstörungen besonders hohe Rückfallquoten aufweisen, wenn ihre Störung nicht behandelt wird. Die Restorative Justice-Ansätze, die auf Wiedergutmachung und soziale Reintegration zielen, könnten hier wertvolle Ansätze bieten, um der Spirale von Gewalt vorzubeugen.


Präventionsmaßnahmen und Opferschutz:

In der Schweiz wurde in den letzten Jahren eine Vielzahl von Maßnahmen zum Schutz von Opfern häuslicher Gewalt eingeführt, die auf Art. 28b ZGB (Schutzmaßnahmen bei Gewalt, Drohungen oder Nachstellungen) beruhen. Diese Bestimmung ermöglicht es den Opfern, Schutzmaßnahmen wie Wegweisungen oder Kontaktverbote zu beantragen. Im Fall von Frau Y wurde diese Möglichkeit durch ein langjähriges Kontaktverbot gegen Herrn X umgesetzt.

Zusätzlich wurde Herr X im Rahmen der Strafe verpflichtet, eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch zu nehmen, was einen wichtigen Beitrag zur Prävention zukünftiger Gewalthandlungen darstellt. Auch der Aspekt der Rehabilitation des Täters spielt eine zentrale Rolle, insbesondere im Hinblick auf die Reintegration in die Gesellschaft nach der Haftstrafe.


Fazit:

Diese Fallstudie zeigt, wie komplexe psychologische Faktoren wie Persönlichkeitsstörungen in der Kriminologie und im Strafrecht berücksichtigt werden müssen. Das Zusammenspiel von psychologischen Gutachten, rechtlichen Bestimmungen und BGE bietet eine solide Grundlage, um in Fällen häuslicher Gewalt angemessene Urteile zu fällen. Gleichzeitig verdeutlicht der Fall die Bedeutung präventiver Maßnahmen und der psychologischen Betreuung sowohl von Tätern als auch von Opfern, um langfristig Gewalt im familiären Umfeld zu verhindern.

Quellen:

  • Art. 19, 123, 126, 135 StGB

  • BGE 136 IV 55

  • BGE 128 IV 73

  • Art. 28b ZGB


Diese Fallstudie veranschaulicht die rechtlichen und kriminologischen Herausforderungen, die bei Fällen häuslicher Gewalt mit Persönlichkeitsstörungen auftreten. Der Autor ist der Meinung, dass eine kriminologische wie auch psychologische Ausbildung in den Rechtswissenschaften verstärkt Bestandteil des Studiums bilden sollten und nicht erst als postgradueller Fortbildung!

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  • 19. Okt. 2024
  • 5 Min. Lesezeit

Kriminologie als wissenschaftliche Disziplin ist tief in das Verständnis von Kriminalität, deren Ursachen und deren Folgen verankert. Sie vereint Elemente aus der Soziologie, Psychologie, Rechtswissenschaft und der Kriminalistik, um ein umfassendes Bild von Verbrechen und Kriminalität zu zeichnen. In diesem Blogbeitrag möchte ich Ihnen einen Überblick über die wesentlichen Themenfelder der Kriminologie geben und dabei auch auf aktuelle Artikel sowie einschlägige Jurisprudenz eingehen.


Definition und Reichweite der Kriminologie

Die Kriminologie untersucht Kriminalität als gesellschaftliches Phänomen. Neben der Analyse individueller Straftäterpersönlichkeiten liegt der Fokus insbesondere auf den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen, die zur Entstehung von Kriminalität beitragen. Ein besonders wichtiges juristisches Fundament hierfür bietet Art. 1 StGB, der als Grundlage für das Legalitätsprinzip im schweizerischen Strafrecht gilt und die Voraussetzung für Strafbarkeit definiert.


Kriminalität und Gesellschaft: Ein soziologischer Ansatz

Kriminalität tritt selten isoliert auf. Sie ist vielmehr das Produkt eines komplexen Zusammenspiels sozialer Faktoren. So beschreibt die Anomietheorie von Robert K. Merton, wie gesellschaftlicher Druck zu deviantem Verhalten führen kann. Menschen, die den sozialen Erwartungen nicht gerecht werden, könnten eher kriminelle Handlungen begehen, um ihre Ziele zu erreichen.


Ein Beispiel für die Bedeutung sozialer Faktoren findet sich in BGE 128 IV 53, wo das Bundesgericht den Einfluss sozialer Randbedingungen auf die Delinquenz Jugendlicher betonte. Hierbei wird deutlich, dass Jugendkriminalität oft mit sozialer Ausgrenzung und fehlenden Perspektiven zusammenhängt.


Psychologische Aspekte der Kriminologie

Neben soziologischen Aspekten spielen auch psychologische Faktoren eine wesentliche Rolle in der Kriminologie. Die Theorien zur Täterpersönlichkeit beschäftigen sich mit der Frage, warum bestimmte Individuen eher zur Kriminalität neigen als andere. Dabei kommen Konzepte wie die Psychoanalyse von Sigmund Freud zum Tragen, die innere Konflikte als Triebfeder für abweichendes Verhalten beschreibt.


Ein klassisches Fallbeispiel im schweizerischen Recht, bei dem die psychologische Verfassung des Täters eine Rolle spielt, ist BGE 136 IV 55, wo ein Täter aufgrund einer schweren Persönlichkeitsstörung milder bestraft wurde. Diese Entscheidung betont die Bedeutung des psychischen Zustands des Täters im Rahmen der Strafzumessung.


Persönlichkeitsstörungen und Kriminalität

In der Kriminologie und Psychologie spielen Persönlichkeitsstörungen eine wesentliche Rolle, insbesondere wenn es um die Analyse des Täterverhaltens geht. Hierbei wird zwischen normalen und pathologischen Persönlichkeitsformen unterschieden, die potenziell kriminelle Handlungen beeinflussen können.


Narzisstische Persönlichkeitsstörung

Die Narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS) ist gekennzeichnet durch ein übersteigertes Selbstwertgefühl, mangelndes Einfühlungsvermögen und ein starkes Bedürfnis nach Bewunderung. Menschen mit narzisstischen Tendenzen begehen oft Straftaten, um ihren Status zu verbessern oder ihr Ego zu bestätigen. Häufig finden sich narzisstische Täter im Bereich der Wirtschaftskriminalität und des Betrugs, da sie dazu neigen, andere für ihre eigenen Vorteile zu manipulieren.


In BGE 142 IV 89 wurde ein Täter mit narzisstischen Tendenzen strafrechtlich verurteilt, wobei das Gericht die mangelnde Empathie und die Selbstüberhöhung des Täters berücksichtigte.

Ein sehr wichtiger Punkt! Es ist entscheidend zu betonen, dass narzisstische Persönlichkeitszüge nicht automatisch zu kriminellem Verhalten führen. Viele Menschen, einschließlich bedeutender Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft oder Kunst, weisen narzisstische Züge auf, die sich in einem gesunden Maß äußern und ihnen dabei helfen, erfolgreich zu sein und Führungspositionen zu übernehmen. In der Psychologie und Kriminologie ist der entscheidende Faktor nicht das Vorhandensein narzisstischer Merkmale an sich, sondern das Ausmaß und die Art, wie diese sich manifestieren.

Gesunde narzisstische Eigenschaften können zum Beispiel Selbstbewusstsein, Ehrgeiz und Durchsetzungsvermögen fördern, ohne dass diese Merkmale in einer destruktiven Weise wirken. In vielen Fällen tragen sie sogar positiv zur Karriere und zur gesellschaftlichen Stellung bei. Problematisch wird es erst, wenn diese narzisstischen Züge in pathologischem Ausmaß auftreten, wie im Fall von Herrn X, wo sie in Aggressivität, ein mangelndes Einfühlungsvermögen und Gewalt münden.

Pathologischer Narzissmus, wie er in dieser Fallstudie besprochen wird, zeichnet sich durch ein extremes Bedürfnis nach Bewunderung, Machtstreben und eine Missachtung der Rechte anderer aus. Nur wenn diese Merkmale außer Kontrolle geraten und das Leben des Betroffenen oder seiner Mitmenschen beeinträchtigen, kann es zu deliktischem Verhalten kommen.


Es ist daher entscheidend, zwischen einem normalen narzisstischen Charakterzug, der häufig bei Führungspersönlichkeiten zu finden ist, und einer pathologischen narzisstischen Persönlichkeitsstörung zu differenzieren. Nicht jeder Narzisst wird gewalttätig oder kriminell, und es bedarf der genauen Abwägung, ob und in welchem Ausmaß eine Persönlichkeitsstörung vorliegt, bevor diese als strafmildernder oder -verschärfender Faktor in Betracht gezogen wird.

Dieser Hinweis hilft dabei, zu verhindern, dass psychologische Diagnosen wie der Narzissmus pauschal mit Kriminalität in Verbindung gebracht werden, und verdeutlicht die Bedeutung einer differenzierten Betrachtung in der strafrechtlichen Praxis.

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Antisoziale Persönlichkeitsstörung (Soziopathie/Psychopathie)

Die Antisoziale Persönlichkeitsstörung (APD), oft als Soziopathie oder Psychopathie bezeichnet, ist eine der häufigsten Persönlichkeitsstörungen, die mit Kriminalität in Verbindung gebracht wird. Menschen mit APD zeigen Missachtung sozialer Normen, mangelndes Schuldbewusstsein und eine Neigung zu impulsivem und aggressivem Verhalten. Insbesondere bei Gewaltverbrechen und Wiederholungstätern spielen diese Persönlichkeitszüge eine bedeutende Rolle.


Der Psychopathy Checklist-Revised (PCL-R) von Robert Hare wird häufig verwendet, um psychopathische Merkmale bei Straftätern zu diagnostizieren. Ein Beispiel für die juristische Relevanz von APD ist BGE 136 IV 55, wo eine schwere antisoziale Persönlichkeitsstörung zur teilweisen Schuldfähigkeit des Täters führte.


Borderline-Persönlichkeitsstörung

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) ist durch emotionale Instabilität und Impulsivität geprägt. Menschen mit BPS begehen oft Straftaten in Phasen starker emotionaler Belastung. Häufige Delikte sind häusliche Gewalt oder impulsive Sachbeschädigungen. Im Fall BGE 140 IV 136 wurde die emotionale Instabilität einer Person mit Borderline-Störung bei der Strafzumessung berücksichtigt, was die Bedeutung des psychischen Zustands unterstreicht.


Zwanghafte Persönlichkeitsstörung

Die Zwanghafte Persönlichkeitsstörung (OCD) ist durch ein übertriebenes Bedürfnis nach Kontrolle, Ordnung und Perfektionismus gekennzeichnet. Zwanghafte Täter werden selten gewalttätig, jedoch können ihre rigiden Denkweisen sie zu Wirtschaftsverbrechen oder Unterschlagungen treiben.


Normale Persönlichkeitsstrukturen und kriminelles Verhalten

Nicht jede Straftat ist das Ergebnis einer Persönlichkeitsstörung. Auch Menschen mit normalen Persönlichkeitsstrukturen können unter bestimmten Bedingungen kriminelle Handlungen begehen, insbesondere in Situationen mit großem Stress oder sozialen Konflikten. Das berühmte Stanford-Prison-Experiment von Philip Zimbardo zeigt, wie schnell normale Menschen unter bestimmten Umständen abweichendes Verhalten zeigen können.


Prävention und Bekämpfung von Kriminalität

Ein zentrales Thema der Kriminologie ist die Prävention von Straftaten. Neben repressiven Maßnahmen wie Strafen stehen präventive Ansätze im Vordergrund, die darauf abzielen, kriminellen Handlungen vorzubeugen. Ein prominenter Ansatz ist die Restorative Justice, die in der Schweiz besonders im Jugendstrafrecht angewendet wird. In BGE 143 IV 1 wird das Prinzip der Wiedergutmachung betont, das den Täter zur Verantwortung zieht und die Opfer einbezieht.


Internationale Perspektiven: Kriminologie im globalen Kontext

Mit der zunehmenden Globalisierung nimmt auch die internationale Kriminologie an Bedeutung zu. Themen wie Menschenhandel, organisierte Kriminalität und Cyberkriminalität erfordern neue Ansätze und rechtliche Instrumente. Internationale Abkommen, wie die UN-Konvention gegen Transnationale Organisierte Kriminalität (UNTOC), sind entscheidende Werkzeuge, um diese globalen Probleme zu bekämpfen.


Fazit: Kriminologie als interdisziplinäre Wissenschaft

Die Kriminologie ist eine dynamische Wissenschaft, die verschiedene Disziplinen vereint, um Kriminalität und kriminelles Verhalten zu verstehen und effektiv zu bekämpfen. Persönlichkeitsstörungen spielen dabei eine zentrale Rolle, insbesondere in der Strafzumessung und der Beurteilung der Schuldfähigkeit. In der Praxis sind Kenntnisse über soziologische und psychologische Theorien unverzichtbar, um Täterverhalten zu verstehen und passende präventive Maßnahmen zu entwickeln.

Für Fachleute bietet dieses Wissen eine solide Grundlage, um das Verhalten von Straftätern nicht nur zu analysieren, sondern auch spezifische Lösungsansätze für die Prävention und Wiedereingliederung zu entwickeln.

Quellen:

  • Art. 1 StGB (Schweiz)

  • BGE 128 IV 53

  • BGE 136 IV 55

  • BGE 140 IV 136

  • BGE 142 IV 89

  • BGE 143 IV 1

  • UN-Konvention gegen Transnationale Organisierte Kriminalität (UNTOC)

  • Autorenbild: kunzlawfirm
    kunzlawfirm
  • 18. Okt. 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Durchsuchung eines Autos, einer Person und Abnahme des Fingerabdrucks bei einer routinemäßigen Kontrolle – Vorstrafen in einem anderen Bereich


Sachverhalt:

Frau Keller wird während einer routinemäßigen Verkehrskontrolle von der Polizei angehalten. Die Polizei fordert die Fahrzeugpapiere und den Führerschein. Während der Kontrolle wirkt Frau Keller auffällig nervös und schaut wiederholt in ihre Handtasche. Daraufhin beschließt die Polizei, das Fahrzeug und die Handtasche zu durchsuchen. In der Handtasche findet die Polizei eine geringe Menge Cannabis. Eine Überprüfung im Polizeicomputer zeigt, dass Frau Keller in der Vergangenheit wegen Wirtschaftsdelikten (Betrug und Urkundenfälschung) vorbestraft ist. Die Polizei nimmt Frau Keller daraufhin mit auf die Wache, wo sie aufgefordert wird, mittels eines elektronischen Lesegeräts ihren Fingerabdruck abzugeben. Frau Keller erhebt nach dem Vorfall Beschwerde und argumentiert, dass ihre früheren Vorstrafen nichts mit dem aktuellen Vorfall zu tun haben und die Maßnahmen der Polizei deshalb unverhältnismäßig gewesen seien.


Rechtsfrage:

War die Durchsuchung des Autos, der Handtasche und die Abnahme des Fingerabdrucks von Frau Keller im Rahmen der routinemäßigen Kontrolle unter Berücksichtigung ihrer früheren Vorstrafen im Bereich von Wirtschaftsdelikten rechtmäßig und verhältnismäßig?


Rechtsgrundlagen und Kommentare:

  1. Verhältnismäßigkeit polizeilicher Maßnahmen bei Verkehrskontrollen: Nach Art. 36 BV müssen staatliche Eingriffe, die Grundrechte einschränken, verhältnismäßig sein. Jede polizeiliche Maßnahme muss einem legitimen Zweck dienen und darf nicht über das hinausgehen, was notwendig ist, um den Zweck zu erreichen. Laut BGE 136 I 87 müssen polizeiliche Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Verdachts oder der Gefahr stehen. Die Nervosität von Frau Keller allein und der Fund einer geringen Menge Cannabis rechtfertigen möglicherweise die Durchsuchung ihrer Handtasche und des Fahrzeugs, aber es ist fraglich, ob die Vorstrafen im Bereich der Wirtschaftsdelikte hier eine Rolle spielen dürfen.

  2. Relevanz von Vorstrafen aus einem anderen Bereich: Die früheren Verurteilungen von Frau Keller wegen Wirtschaftsdelikten (Betrug und Urkundenfälschung) haben keinen direkten Bezug zu dem jetzigen Vorwurf des Betäubungsmittelbesitzes. BGE 125 I 492 macht klar, dass Vorstrafen nur dann relevant sind, wenn sie im Zusammenhang mit der aktuellen Situation stehen. In diesem Fall liegen die Vorstrafen in einem völlig anderen Bereich, was bedeutet, dass sie keinen direkten Einfluss auf die polizeiliche Bewertung der Situation haben dürften. Die bloße Existenz von Vorstrafen ohne direkten Zusammenhang mit dem aktuellen Verdacht ist nicht ausreichend, um die Schwere der polizeilichen Maßnahmen zu rechtfertigen.

  3. Durchsuchung und Verhältnismäßigkeit: Die Durchsuchung von Frau Kellers Fahrzeug und Handtasche könnte aufgrund ihrer auffälligen Nervosität und des Verdachts auf Besitz illegaler Substanzen verhältnismäßig gewesen sein. Der Fund von Cannabis könnte als ausreichender Grund für die Polizei gelten, die Durchsuchung durchzuführen. Allerdings hätte die Polizei keine weitergehenden Maßnahmen auf der Grundlage der früheren Wirtschaftsdelikte ergreifen dürfen, da diese Vorstrafen keinen Bezug zum Betäubungsmittelbesitz haben. Dies wurde auch in BGE 133 I 106 bestätigt, wo betont wurde, dass Vorstrafen nur berücksichtigt werden dürfen, wenn sie einen unmittelbaren Zusammenhang zur aktuellen Tat haben.

  4. Abnahme des Fingerabdrucks bei nicht zusammenhängenden Vorstrafen: Art. 260 StPO erlaubt die Abnahme von Fingerabdrücken im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen, wenn dies zur Identitätsfeststellung oder im Zusammenhang mit einer Straftat erforderlich ist. Da Frau Keller bereits identifiziert wurde und die Vorstrafen im Bereich der Wirtschaftsdelikte keinen Bezug zum aktuellen Vorwurf haben, ist die Abnahme des Fingerabdrucks fraglich. BGE 141 IV 344 bestätigt, dass solche Maßnahmen nur dann verhältnismäßig sind, wenn sie zur Klärung eines konkreten Verdachts erforderlich sind. In diesem Fall liegt keine Verbindung zwischen den früheren Wirtschaftsdelikten und dem jetzigen Verdacht auf Betäubungsmittelbesitz vor, sodass die Abnahme des Fingerabdrucks unverhältnismäßig erscheinen könnte.

  5. Rechtswidrigkeit der Fingerabdruckabnahme: Angesichts der Tatsache, dass die Vorstrafen von Frau Keller in einem anderen Bereich liegen und keinen Zusammenhang mit dem aktuellen Vorfall haben, ist die Abnahme des Fingerabdrucks wahrscheinlich unverhältnismäßig. Nach BGE 133 I 106 dürfen Fingerabdrücke nur bei schwerwiegenden Verdachtsmomenten oder einer ernsthaften Gefährdung erhoben werden. In diesem Fall ist die geringe Menge an Cannabis in Kombination mit den Wirtschaftsdelikten aus der Vergangenheit kein ausreichender Grund, um diese Maßnahme zu rechtfertigen.


Lösung:

Die Durchsuchung des Fahrzeugs und der Handtasche von Frau Keller war aufgrund ihrer auffälligen Nervosität und des Verdachts auf Betäubungsmittelbesitz verhältnismäßig. Die Abnahme des Fingerabdrucks hingegen war unverhältnismäßig, da die früheren Vorstrafen aus einem völlig anderen Bereich stammen und keinen direkten Bezug zu dem aktuellen Verdacht haben. Die Beschwerde von Frau Keller dürfte daher in Bezug auf die Abnahme des Fingerabdrucks Erfolg haben.


Fazit:

Dieses Fallbeispiel verdeutlicht, dass frühere Vorstrafen nur dann eine Rolle bei der polizeilichen Bewertung spielen dürfen, wenn sie einen direkten Zusammenhang zur aktuellen Verdachtslage aufweisen. Ohne diesen Zusammenhang sind weitergehende Maßnahmen wie die Abnahme von Fingerabdrücken unverhältnismäßig und nicht rechtlich gerechtfertigt. In Fällen wie diesem müssen die Polizei und die Justiz die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des Schutzes der Grundrechte strikt beachten.

Quellen:

  • BGE 136 I 87: Verhältnismäßigkeit bei polizeilichen Maßnahmen

  • BGE 125 I 492: Anforderungen an den Verdacht für Durchsuchungen

  • BGE 133 I 106: Schutz der Privatsphäre und persönliche Gegenstände

  • BGE 141 IV 344: Verhältnismäßigkeit bei der Abnahme von Fingerabdrücken

  • Art. 36 BV: Verhältnismäßigkeitsprinzip

  • Art. 260 StPO: Abnahme von Fingerabdrücken im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen

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