Ein Fall häuslicher Gewalt mit psychologischer Dimension
In dieser Fallstudie wird ein Fall von häuslicher Gewalt analysiert, der sich in der Schweiz ereignet hat. Der Fall wirft wichtige Fragen zur Strafzumessung, zur Rolle der Persönlichkeitsstörungen und zur Bedeutung der Prävention auf. Wir beziehen uns auf einschlägige Artikel, Kommentare und Bundesgerichtsentscheide (BGE), um die rechtlichen und kriminologischen Aspekte zu beleuchten.
Sachverhalt:
Herr X und Frau Y, ein verheiratetes Paar, lebten seit mehreren Jahren in einer Beziehung, die zunehmend durch Konflikte und Aggressionen geprägt war. Herr X, ein 45-jähriger Mann, zeigte immer wieder aggressive Verhaltensweisen, insbesondere wenn er sich bedroht oder kontrolliert fühlte. Im Laufe der Ehe begann er, Frau Y emotional und körperlich zu misshandeln. Der Höhepunkt wurde erreicht, als Herr X Frau Y in einem Streit schwer verletzte. Sie erlitt schwere Prellungen und musste ärztlich behandelt werden.
Frau Y reichte Strafanzeige ein, und Herr X wurde aufgrund von häuslicher Gewalt vor Gericht gestellt. Im Laufe der Ermittlungen stellte sich heraus, dass Herr X unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung litt, die nicht diagnostiziert, aber durch ein psychologisches Gutachten im Verfahren festgestellt wurde. Seine narzisstischen Züge führten zu aggressivem Verhalten, insbesondere in Situationen, in denen er seinen Status oder seine Kontrolle gefährdet sah.
Rechtliche Grundlage:
Nach schweizerischem Strafrecht ist häusliche Gewalt in mehreren Artikeln des Strafgesetzbuches (StGB) verankert. Relevante Bestimmungen in diesem Fall umfassen:
Art. 123 StGB (Einfache Körperverletzung): Dieser Artikel regelt die Bestrafung von Körperverletzungen, die keine dauerhafte Schädigung hinterlassen, aber dennoch eine gesundheitliche Beeinträchtigung oder Schmerzen verursachen.
Art. 126 StGB (Tätlichkeiten): Dieser Artikel betrifft weniger schwere Formen der Gewaltanwendung, die keine bleibenden Schäden hinterlassen, aber dennoch strafbar sind, insbesondere in Fällen häuslicher Gewalt.
Art. 135 StGB (Gefährdung des Lebens): Dieser Artikel behandelt schwerwiegende Fälle von Gewalt, bei denen das Leben des Opfers ernsthaft gefährdet ist.
Darüber hinaus wurde in diesem Fall die psychische Erkrankung des Täters berücksichtigt, was zur Anwendung von Art. 19 StGB (Verminderte Schuldfähigkeit aufgrund psychischer Störungen) führte.
Gerichtsverfahren und Urteilsfindung:
Das Gericht hatte die Aufgabe, die Schwere der Tat, die Rolle der Persönlichkeitsstörung und die Strafzumessung unter Berücksichtigung von Täter- und Opferperspektive zu bewerten. Bei der Urteilsfindung spielte das psychologische Gutachten eine zentrale Rolle. Dieses Gutachten wies auf die narzisstische Persönlichkeitsstörung von Herrn X hin, die als eine der wesentlichen Ursachen für sein aggressives Verhalten angesehen wurde.
Psychologische Einschätzung: Herr X wurde als emotional instabil und stark auf den Erhalt von Kontrolle und Anerkennung fixiert beschrieben. Die Aggressionen wurden als Ausdruck seiner Unfähigkeit angesehen, mit emotionalem Druck und wahrgenommenem Statusverlust umzugehen.
Das Gericht erkannte zwar die psychische Störung als mildernden Faktor an, stellte aber auch klar, dass Herr X trotz seiner Persönlichkeitsstörung in der Lage gewesen wäre, seine Handlungen zu kontrollieren. Aufgrund der festgestellten verminderten Schuldfähigkeit (Art. 19 Abs. 2 StGB) wurde die Strafe jedoch gemildert.
Das Gericht verurteilte Herrn X zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten, unter der Auflage einer Therapie nach Art. 63 StGB, um die narzisstischen Persönlichkeitszüge zu behandeln. Zusätzlich erhielt er ein fünfjähriges Kontakt- und Annäherungsverbot gegenüber Frau Y.
Kommentar zu BGE und Rechtsprechung:
BGE 136 IV 55 befasst sich mit der Frage der verminderten Schuldfähigkeit bei schweren Persönlichkeitsstörungen. In diesem Entscheid stellte das Bundesgericht klar, dass eine verminderte Schuldfähigkeit nur dann angenommen werden kann, wenn nachweislich eine erhebliche psychische Störung vorliegt, die die Steuerungsfähigkeit des Täters beeinträchtigt. Im Fall von Herrn X war die narzisstische Persönlichkeitsstörung nach Ansicht des Gerichts ein hinreichender Faktor, um die verminderte Schuldfähigkeit anzunehmen, jedoch nicht so gravierend, dass eine völlige Schuldunfähigkeit vorlag.
Kommentar zu Art. 123 und 126 StGB: In Fällen häuslicher Gewalt kommt es oft zu einer Abgrenzung zwischen einfacher Körperverletzung und Tätlichkeiten. Bei wiederholten Handlungen, die in einem familiären Umfeld stattfinden, wird die Strafzumessung häufig verschärft, wie dies in BGE 128 IV 73 festgehalten wurde. Das Bundesgericht betonte, dass bei häuslicher Gewalt besonders schwerwiegende Konsequenzen auf die Opfer zu berücksichtigen sind, auch wenn es sich "nur" um Tätlichkeiten handelt, da das Vertrauensverhältnis in der Ehe gravierend erschüttert wird.
Psychologische Kommentierung und Prävention: Aus kriminologischer Sicht ist es in Fällen wie diesem entscheidend, psychologische Präventionsprogramme in den Strafvollzug zu integrieren. Studien haben gezeigt, dass Täter mit narzisstischen oder antisozialen Persönlichkeitsstörungen besonders hohe Rückfallquoten aufweisen, wenn ihre Störung nicht behandelt wird. Die Restorative Justice-Ansätze, die auf Wiedergutmachung und soziale Reintegration zielen, könnten hier wertvolle Ansätze bieten, um der Spirale von Gewalt vorzubeugen.
Präventionsmaßnahmen und Opferschutz:
In der Schweiz wurde in den letzten Jahren eine Vielzahl von Maßnahmen zum Schutz von Opfern häuslicher Gewalt eingeführt, die auf Art. 28b ZGB (Schutzmaßnahmen bei Gewalt, Drohungen oder Nachstellungen) beruhen. Diese Bestimmung ermöglicht es den Opfern, Schutzmaßnahmen wie Wegweisungen oder Kontaktverbote zu beantragen. Im Fall von Frau Y wurde diese Möglichkeit durch ein langjähriges Kontaktverbot gegen Herrn X umgesetzt.
Zusätzlich wurde Herr X im Rahmen der Strafe verpflichtet, eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch zu nehmen, was einen wichtigen Beitrag zur Prävention zukünftiger Gewalthandlungen darstellt. Auch der Aspekt der Rehabilitation des Täters spielt eine zentrale Rolle, insbesondere im Hinblick auf die Reintegration in die Gesellschaft nach der Haftstrafe.
Fazit:
Diese Fallstudie zeigt, wie komplexe psychologische Faktoren wie Persönlichkeitsstörungen in der Kriminologie und im Strafrecht berücksichtigt werden müssen. Das Zusammenspiel von psychologischen Gutachten, rechtlichen Bestimmungen und BGE bietet eine solide Grundlage, um in Fällen häuslicher Gewalt angemessene Urteile zu fällen. Gleichzeitig verdeutlicht der Fall die Bedeutung präventiver Maßnahmen und der psychologischen Betreuung sowohl von Tätern als auch von Opfern, um langfristig Gewalt im familiären Umfeld zu verhindern.
Quellen:
Art. 19, 123, 126, 135 StGB
BGE 136 IV 55
BGE 128 IV 73
Art. 28b ZGB
Diese Fallstudie veranschaulicht die rechtlichen und kriminologischen Herausforderungen, die bei Fällen häuslicher Gewalt mit Persönlichkeitsstörungen auftreten. Der Autor ist der Meinung, dass eine kriminologische wie auch psychologische Ausbildung in den Rechtswissenschaften verstärkt Bestandteil des Studiums bilden sollten und nicht erst als postgradueller Fortbildung!
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